Das authentische Filmemachen

Der Erfolgsfaktor in der Werbung 2021: das authentische Filmemachen. Es war mir eine Ehre und absolute Freude mit Stefan Kleinalstede dem Dokumentarfilmer und CEO von SEMICOLON Digital Studio über das authentische Filmen zu sprechen. Persönlich glaube ich, dass hier das Potential vor allem für die digitale Kommunikation liegt.

Sinja Grimme CEO & Founder FARBE BLAU Creative Communication im Talk mit Stefan Kleinalstede, Dokumentarfilmer & CEO Semicolon – Digital Studio

Sinja Grimme:Was ist der Antrieb des Filmemachens der Zukunft und Gegenwart?

Stefan Kleinalstede: Dein Erfahrungshintergrund in der Markenkommunikation bei BMW ist ein völlig anderer als der, den ich mit Red Bull habe. Trotzdem sind wir uns einig, dass das Thema 2021 „echtes, authentisches, ehrliches Filmemachen“ ist. Das Authentische und die Glaubwürdigkeit ist das, was früher klassische Werbung war. Cool.

Sinja Grimme: Wie ist deine persönliche Geschichte, wie bist du zum Dokumentarfilm gekommen?

Stefan Kleinalstede: Ich habe als freier Filmemacher für viele Sender und Doku-Formate gearbeitet. Seit 2008 bin ich mit meinem Team intensiv für Red Bull unterwegs. Wir haben die Red Bull X-Fighters von einem Nischenprodukt zu einer der großen Weltserien gemacht. Unser Job als Filmemacher dabei: Nimm den Athleten den Helm ab, setz die irgendwo hin und frag nach Glauben, nach Aberglauben, nach Ritualen. Finde den Menschen, die Persönlichkeit in dem Extremsportler. Wir haben sogar nach Angst-Management gefragt. So sind wir zu über 50 Events auf vier Kontinenten gereist. Und immer ging es ums Echte im Spektakulären.

Sinja Grimme: Siehst du einen Unterschied zwischen Storytelling und Dokumentarfilm?

Stefan Kleinalstede: Das ist eine feine Frage. Sagen wir mal so, es gibt eine Schnittmenge zwischen Storytelling und Dokumentarfilm im Allgemeinen. Aber es ist nicht so, dass jeder gute Dokumentarfilm zwingend ein Storytelling braucht. Manchmal muss man tatsächlich nur da sein, wie bei unseren „Queens of Botswana“ für Arte. Die Geschichten der Frauen, die sich in Leder kleiden, Heavy Metal hören und sich dabei gegen ganze Dörfer und Gesellschaften auflehnen, ist eine eigene Geschichte, die keine Dramaturgische Inszenierung braucht.

Sinja Grimme: Für mich war in der Vergangenheit beim Filmemachen das Storytelling immer wichtig, ich wollte authentisch sein, habe aber auch immer den Aufhänger gesucht. Widersprechen sich Dokumentarfilm und Storytelling?

Stefan Kleinalstede: Storytelling ist ja unser Handwerkszeug und unsere Aufgabe. Die Grundlage vom Geschichtenerzählen ist das Vertrauen zwischen den Menschen hinter – und denen vor der Kamera. Wenn ich Vertrauen zu meinen Protagonisten aufbaue, habe ich die Möglichkeit sie dokumentarisch zu begleiten, Authentizität einzufordern und sie können authentisches Handeln anbieten. Ich bin dann nicht mit der Kamera dominant, sondern ziehe mich zurück. Wie in unserer neuen Doku Serie für Amazon Prime Video „Inside SG Flensburg-Handewitt“.

Wenn ich Charaktere habe, die sich authentisch verhalten, kann ich trotzdem eine Dramaturgie aufbauen, indem ich vorher auf dem Papier eine Heldenreise entwickeln habe. Ich weiß genau, welche Meilensteine meine Jungs im nächsten Jahr vor sich haben werden, ohne dass ich auf das Echte verzichten muss.

Sinja Grimme: Was meinst Du genau mit Heldenreise?

Stefan Kleinalstede: Die Heldenreise oder Hero´s Journey ist ein klassisches Konzept von Dramaturgie. Nachdem ein Held auf seiner Reise eine Bewährungsprobe erlebt. Dazu gehört unbedingt auch ein Tiefpunkt! Die Reise endet mit der Verwandlung des Helden.

Sinja Grimme: Also Storytelling und Authentizität widerspricht sich nicht?

Stefan Kleinalstede: Nein ganz im Gegenteil, wenn man es wirklich ernst und anspruchsvoll machen möchte, dann muss man Raum für beides haben. Man braucht einen Masterplan. Wir erzählen schon so lange Geschichten. Es wäre echt undenkbar im Jahr 2021 zum Dreh zu erscheinen und zu sagen: Mal gucken, was heute überhaupt passiert… 😉

Sinja Grimme: Was ist für dich der Unterschied als Filmemacher zwischen klassischem Werbefilm und Dokumentarfilm?

Stefan Kleinalstede: Das Lächeln des Protagonisten.

Wir haben heute für Red Bull einen kleinen Clip produziert, in dem ein Formel1-Pilot auf der Rennstrecke anhält und Donuts dreht und jede Menge Rauch erzeugt, Reifen quietschen und dann fährt er wieder weg. Im Werbefilm hast du anschließend den Hero – da kommt der Typ stellt sich in die Kamera und sagt „Kauft das Deo!“ Dann hast du das verkauft. Was ich gerne mag ist, dass unser Formel 1 Rennfahrer mit quietschenden Reifen wegfährt und du hörst ihn im Hintergrund lachen und er hat halt einfach Spaß wie ein großer Junge! Das ist nicht inszeniert, du hörst ihn im Hintergrund über das Team Radio lachen und das ist für mich die Geschichte, dass I-Tüpfelchen. Was Werbung nicht leistet, ist das Persönliche anknüpfen mit dem Athleten, es kann selbstironisch oder selbstbewusst sein – es muss authentisch sein!

Sinja Grimme: In großen Unternehmen hat man oft Sorge, vor einem offenen Ausgang, Angst vor Misserfolg und dass der dann Image-schädigend ist. Wie beurteilst du das?

Stefan Kleinalstede: Angst erschlägt Kreativität. Die Synergie mit Red Bull ist deshalb so gut, weil sie das seit so vielen Jahren erfolgreich machen. Viele Red Bull Athleten sind kreativ, in dem was sie machen, obwohl sie das unter extrem großen Druck tun. Die Jungs, springen mit Motorrädern über Rampen mit 50kmh und machen extrem komplizierte Tricks in der Luft mitten unter dem Brennglas, vor 50.000 Menschen – live in die ganze Welt übertragen. Der Raum für Kreativität muss immer bleiben, wenn Du nicht kreativ bist und die Freude an der künstlerischen Gestaltung hast, wirst du nicht erfolgreich sein. Und genauso geht es uns Filmemachern auch, es darf nie perfekt geskripted sein.

Sinja Grimme: Ich habe lange Motorsportkommunikation gemacht. Da ist Erfolg ein wichtiges Thema. Wie geht man mit Misserfolgen um? Was kann sich daraus entwickeln? 

Stefan Kleinalstede Schau dir die positiven Beispiele an wie zB. „All or nothing” auf Amazon Prime Video. Das ist ein ganz einfaches Konzept: eine Football-Mannschaft, eine Saison, all access. Da wird manchmal gewonnen, aber meistens verloren. Und die Geschichten sind immer dann fesselnd, wenn man dicht dran ist. Egal ob im Rausch oder im Schmerz. „Drive to Survive“ auf Netflix funktioniert genauso. Die Niederlagen sind das, was dich fesselt, da passieren unfassbare Sachen.

In der ersten Episode von „Drive to Survive“ ist das Team Haas F1 eine sympathischer Underdog neben den Giganten von Ferrari, Mercedes & Red Bull. Die dominieren fast das Rennen. Dann schaffen sie es tatsächlich, bei zwei Boxenstopps an ihren beiden eigenen Autos die Räder nicht richtig anzuschrauben! Kurz vor dem epischen Sieg fällst du ins tiefste Tal. Die Wirklichkeit funktioniert ja auch nach dem Hero´s Journey-Konzept.

Sinja Grimme: Wie wichtig ist das Team für dich? Welche Rolle hat der Kameramann?

Stefan Kleinalstede: Künstler, Sportler, die Persönlichkeiten, die wir vor die Kamera bekommen, sind ja alle Menschen und ich finde auf unserer Seite – vom Produktionsteam – ist der Draht zum Menschen genauso wichtig, wie der persönliche Anspruch an die Leistung. Das gilt für einen Kameramann, genauso wie für eine Tonfrau. Wir haben einen Tontechniker, der hat jetzt 75 Drehtage lang den Trainer und die Spieler vom Deutschen Handball Meister verkabelt. Du bist da ganz nah dran. Du muss dem etwas ins Ohr fummeln, den Brustgurt anziehen, auch wenn sie schwitzen. Jedes Team-Mitglied muss einen persönlichen Draht zu den Menschen entwickelt, die bei uns vor der Kamera stehen. Deshalb ist es wichtig, dass das technische Team (Kamera, Regie Ton, Licht etc.) ohne Distanz mit an die Menschen kommt. Das ist ein Vertrauensthema. Du forderst Vertrauen ein, wenn Du anfängst zu drehen und du musst es mit Vertrauen zurückzahlen.

Sinja Grimme: Wie wichtig ist die Post Production?

Stefan Kleinalstede: Das Gewerk Post Produktion hat sich in den letzten 10 Jahren komplett verändert. Früher hat man gesagt wir drehen und es war klar, wie der Film aussieht. Es wurde einfach linear, sprich: in der richtigen Reihenfolge geschnitten. Jetzt ist so viel möglich – es kann viel künstlerisches Potential entfesselt werden. Wir entkoppeln uns viel mehr. Der Editor bekommt die Möglichkeit, sich das Material anzuschauen und dann seine eigene Komposition, eine dramaturgische Inszenierung mit den Ebenen Musik, Sounddesign, Rhythmus zu entwickeln. Ich habe da wunderbarerweise einige großartige Kollegen im Team!

Sinja Grimme: Kommenden Freitag gehen wir zusammen auf einen Dreh und machen einen Film über Museen in der aktuellen Situation. Du hast so viel Sport gemacht, wie fühlt sich das an, plötzlich über Kunst zu erzählen?

Stefan Kleinalstede: Ich freue mich richtig! Wir bringen ja wie immer unser Equipment mit. Und wir beherrschen ja unser eigenes Handwerk. Damit geben wir den Rahmen vor, bauen sozusagen eine Bühne, auf der sich unsere Künstler dann selbst verwirklichen werden. Das wird sicher ein Abenteuer!